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Sigmund Freud: Das erste topische Modell und das menschliche Gehirn

Einleitung

Der als Begründer der modernen Psychoanalyse geltende Sigmund Freud war nach seiner Promotion in Medizin auch an einem Labor-Projekt zur Erforschung der Neuroanatomie des Hirnstamms von Wirbeltieren beteiligt. Es müssen wohl diese Erfahrungen gewesen sein, die Freud veranlassten, die Arbeit an seinem Werk "Entwurf der Psychologie", das er 1896 fertiggestellt und nicht veröffentlicht hatte, weiter voranzutreiben. In besagter Schrift versucht er psychische und psychopathologische Phänomene mehr oder weniger direkt mit der Aktivität bestimmter Hirnzentren in Verbindung zu bringen und greift bereits auf einige später in der "Traumdeutung" näher erläuterte Konzepte, wie zum Beispiel das erste topische Modell ("Bewußt", "Vorbewußt", "Unbewußt"), vor. Es liegt also nahe anzunehmen, dass Sigmund Freud sich der Psyche anfangs vor allem über einen Ansatz anzunähern versuchte, der in enger Verbindung mit der Physiologie und Arbeitsweise des menschlichen Gehirns stand.

Auf Grund der damals fehlenden Erkenntnisse und der technischen Unausgereiftheit der Untersuchungsmethoden hinsichtlich einer tiefgehenden Analyse der neurophysiologischen und neurochemischen Prozesse des menschlichen Gehirns wandte er sich später von diesem Konzept ab, wohl auf Grund der damals nicht gegebenen Möglichkeit einer hinreichenden Absicherung seiner zuvor aufgestellten Theorien. Bis zu seinem Tod 1939 verfolgte Freud allerdings nebenbei immer die derzeitigen Entwicklungen auf dem Gebiet der Neurowissenschaften, vielleicht um durch eine dieser doch noch einen Beweis seiner anfänglichen Ansätze antreten zu können.

Freuds erstes topisches Modell

Bereits in seinem 1900 erschienen Werk "Die Traumdeutung" erarbeitet Freud eine nähere Erörterung des psychischen Apparats des Menschen und beschreibt diesen als "ein zusammengesetztes Instrument, dessen Bestandteile wir Instanzen oder der Anschaulichkeit zuliebe Systeme heißen wollen" [1]. Diese drei Systeme betrachtet er metaphorisch als psychische Orte ("topisch") und weist ihnen verschiedene Eigenschaften und Funktionen zu, hebt aber besonders hervor, dass die eigentliche "feste Reihenfolge dadurch hergestellt wird, daß bei gewissen psychischen Vorgängen die Systeme in einer bestimmen zeitlichen Folge von der Erregung durchlaufen werden" [2]. Diese "Folge" impliziert bereits die Beziehung dieser zueinander - Freud verweist jedoch darauf, dass deren Interaktion nicht immer harmonisch abläuft, wie dies z.B. bei Zahnrädern der Fall ist. In den folgenden Absätzen wird kurz die Bedeutung der drei verschiedenen Systeme "Bewußt", "Vorbewußt" und "Unbewußt" erläutert.

Die Wahrnehmung dessen, was um uns herum oder in uns selbst geschieht, gehört zum System "Bewußt". Es ist der metaphorische Ort, an dem Gedanken stattfinden und das jeweilige Verhalten aktiv gesteuert werden soll, zumindest ist dies das System, dass dem Menschen einen maximalen Einfluss auf seine Interaktion mit der Außenwelt gewähren kann. Inwiefern jedoch eine unbewusste Determination dessen vorhanden ist, kann durch das Bewusstsein nicht in umfassender Weise festgestellt werden, auch wenn es möglich ist, durch partielles Unverständnis der eigenen Handlungsweise auf einen unbewussten Grund zu schließen.

Reflexives Denken und die Fähigkeit sich selbst auch aus den Augen der Anderen wahrzunehmen (die Meta-Perspektive zu sich selbst) sind ebenfalls Merkmale diese Teils des menschlichen Geistes.

Da es nicht möglich ist, alles jemals Erlernte und Gedachte stets im Bewusstsein aktiv zu halten, konstruierte Freud weitergehend das System "Vorbewußt". Mit der gezielten Aufmerksamkeit auf diese Vorstellungen und Inhalte können diese, als im Vorbewussten abgespeicherte, wieder ins System "Bewußt" gehoben werden. Ein Beispiel dafür wäre eine erlernte Sprache, die für das Alltagsleben nicht permanent von Relevanz ist (also z.B. nicht die Muttersprache darstellt) - die Kenntnis von dieser liegt nicht permanent im Bewusstsein vor, aber es kann bei Bedarf Zugriff auf sie ausgeübt und sie so aus dem Vorbewussten zurück ins System "Bewußt" gerufen werden.

Wie kann es nun dazu kommen, dass dem Menschen nicht alle seine Handlungen stets klar sind, wenn es sich doch bei ihm um ein, wie Aristoteles feststellt, vernunftbegabtes Wesen handelt? Eine mögliche Antwort darauf könnte es sein, dass der Mensch zwar durchaus zur Vernunft fähig ist, allerdings nicht in jedem (hier durch Freud unterschiedenen) Teil seiner Selbst. Denn mit dem System "Unbewußt" des von Freud erstellten ersten topischen Modells, ist dem Bewusstsein eine direkte Interaktion nicht möglich.

Auch sind die Inhalte dieses eher bildlich, nicht wörtlich wie jene der anderen Systeme. Vorstellungen, (traumatische) Erlebnisse, archetypische Überlieferungen, Instinktreste, Wünsche, Verdrängtes und Erinnerungen sind im Unbewussten gespeichert. Es herrscht das sogenannte Lustprinzip, das unabhängig von der Realität und den aktuellen Möglichkeiten auf eine unbedingte Erfüllung aller Triebimpulse drängt.

Diese können dann nach Freud sehr wohl Auswirkungen auf das menschliche Verhalten haben, und das auch ohne Erfassung dieser Tatsache durch das System "Bewußt". In diesem Punkt sah Freud den Ansatzpunkt für seine Psychoanalyse und folgte der Annahme, dass psychische Leiden, wie z.B. Neurosen, ihren Ursprung in unbewussten Triebregungen hätten, die vormals eine Verdrängung aus dem Bewusstsein erfahren haben, so dass sie der betreffenden Person nicht unmittelbar klar wären. Eben diesen Schritt des aktiven Vergessens suchte er mittels seiner Form der Psychotherapie wieder für die Person greifbar zu machen, weil er festgestellte, dass eventuelle Symptome bei der Erinnerung an deren Ursache, also bei der sinnbildlichen Rückführung dieser Ursache ins System "Bewußt", wieder verschwanden.

Durch seine Beobachtung, dass die unbewussten Inhalte per defintionem dem Bewusstsein nicht zugänglich sind, vermutete Freud die Existenz eines sogenannten Zensors, der eine nähere Überprüfung der Inhalte vornimmt, die aus dem System Unbewusst in das System "Vorbewußt" hinaufsteigen wollen. Wenn der Zensor stark genug und die Vorstellung nicht mächtig genug ist, so wird dieser der Zugang zum Vorbewussten verweigert. Anders wäre dies, wenn der Zensor der Intensität der Vorstellung nicht standhalten kann und diese somit auch gegen den Willen des Zensors in das System "Vorbewußt" gelangen kann. Ein Zugriff des Bewusstseins wäre in diesem Fall möglich, allerdings nur in verschlüsselter Form, d.h. der Inhalt würde dann nicht direkt in seiner Form, sondern als Traum oder Fehlleistung zum Objekt der Aufmerksamkeit werden können.

Daraus resultiert ein nicht zu unterschätzender Einfluss des Unbewussten auf das menschliche Leben. Ein Umstand allerdings auch, der die Frage aufwirft, inwiefern es denn unter diesen Vorraussetzungen überhaupt noch möglich scheint, sein eigenes Leben wirklich nach Maßstäben der Vernunft zu determinieren. Es liegt nahe, durch eine nähere Eigenarbeit mit dem Unbewussten vorsichtig in Kontakt zu treten, z.B. durch Techniken der Meditation oder durch freie Assoziation, um eine möglichst große Integration der vorliegenden Triebmuster zu erreichen und nicht dem Glauben an die Legitimation der Verdrängung anheim zu fallen.

Die Verbindung von Psyche und Gehirn

Wie bereits eingehend erwähnt war Freud anfangs durchaus der Meinung, psychische Vorgänge auf rein physiologische (bzw. neurophysiologische) Begebenheiten zurückführen zu können. So sagt er zwar sehr deutlich, "daß die seelische Tätigkeit an die Funktion des Gehirns gebunden ist wie kein anderes Organ" [3], und somit deren innige Beziehung deutlich wird, "aber alle Versuche, von da aus eine Lokalisation der seelischen Vorgänge zu erraten, alle Bemühungen, die Vorstellungen in Nervenzellen aufgespeichert zu denken und die Erregung auf Nervenfasern wandern zu lassen, sind gründlich gescheitert" [4]. Daraus ergibt sich die Annahme einer stetigen Wechselbeziehung und Gebundenheit der Psyche an das Gehirn, wobei eine nähere Lokalisation der einzelnen Systeme der Psyche in diesem dennoch (noch) nicht möglich erscheint. So prophezeit er diesen Lehren dasselbe Scheitern, "die etwa den anatomischen Ort des Systems Bw, [...], in der Hirnrinde erkennen und die unbewussten Vorgänge in die subkortikalen Hirnpartien versetzten" [5] wollen und distanziert sich von dieser Vorgehensweise indem er anführt, eine "psychische Topik hat vorläufig nichts mit der Anatomie zu tun" [6]. Bei der letzten Aussage bleibt zu erwähnen, dass Freud dies selbstverständlich mit der Perspektive seiner Zeit sagt, eine (spätere) Lokalisation allerdings explizit offen läßt und somit weiterhin für möglich hält, er sieht es als eine "Lücke, deren Ausfüllung derzeit nicht möglich ist, auch nicht zu den Aufgaben der Psychologie gehört" [7]. Es wird deutlich, dass Freud eine Füllung dieser Lücke mehr als begrüßen würde, als promovierter Mediziner und erfahrener Anatom hat er wohl gerade an diesen Punkt ein besonderes fachliches Interesse gehabt. So scheint es wenig verwunderlich, dass er die Hoffnung hegt, dass "selbst wo das Psychische sich bei der Erforschung als der primäre Anlaß eines Phänomens erkennen läßt, [...] ein tieferes Eindringen die Fortsetzung des Weges bis zur organischen Begründung des Seelischen einmal zu finden wissen" [8] wird.

Freud räumt die Möglichkeit einer organischen Begründung der psychischen Vorgänge also explizit ein, auch wenn er sich in der Perspektive seiner Zeit unfähig sieht, dieses wissenschaftlich zu fundieren. Am Einfluss des Physischen auf das Psychische zweifelt er also keinesfalls. Aber auch das Letztere soll Einfluss auf den menschlichen Körper haben: So berichtet er in seinem Werk "Psychische Behandlung" von 1890 auch von dem Fall, dass der Ärzteschaft Patienten vorkommen die über immense Leiden klagen ohne dass diese organisch begründet werden können. Ein Patient mit einem (organisch) gesunden Magen könnte so unter Magenschmerzen leiden ohne dass die Ärzte diesen Zustand heilen können, denn all ihre herkömmlichen Mittel zielen auf die Bekämpfung von organischen Leiden ab. Auch "die Untersuchung des Gehirnes und der Nerven solcher Kranker hat aber bisher keine greifbare Veränderung auffinden lassen, und manche Züge des Krankheitsbildes verbieten sogar die Erwartung, daß man solche Veränderungen, wie sie imstande wären, die Krankheit zu erklären, einst mit feineren Untersuchungsmitteln werde nachweisen könne" [9] - diese Krankheiten müssen folglich einen anderen Grund als einen Physischen haben. Freud berichtet alsdann von der Entdeckung, dass solche Leiden "von nichts anderem herrühren als von einem veränderten Einfluß des Seelenlebens auf [den] Körper, daß also die nächste Ursache der Störung im Seelischen zu suchen ist" [10]. Diese heutzutage unter dem Begriff Psychosomatik bekannte Feststellung macht also deutlich, dass auch die Psyche einen immensen Einfluss auf den Körper haben kann.

Abschließende Bemerkungen

Freud, als Mediziner, hat nicht nur die Psychoanalyse begründet, sondern auch geholfen sich dem Leib-Seele-Problem weiter zu nähern, indem er sich mit der Lokalisation des Psychischen intensiv auseinandergesetzt hat. Seine Erkenntnisse sind nicht nur für die Psychologie und Medizin von Interesse, sondern auch für die Philosophie. So hat seine Annahme des Unbewussten auch dazu geführt, daß jene philosophischen Theorien, die das Bewusstsein zur Grundlage haben, nachträglich problematisiert werden müssten. Er versteht das Unbewusste nicht als eine Art von Noch-nicht-Bewusstem, sondern als etwas vom Bewusstsein durch den Zensor entkoppeltes und läßt somit an vielem bislang Erkanntem Zweifel zu. Denn wenn das Bewusstsein nicht die Einheit des menschliche Geistes darstellt, wenn es also unter ihr ein nicht unmaßgebliches Unbewusstes gibt, so könnte die Perspektive auf fast alles einer nachträglichen Problematisierung und erneuten Reflexion bedürfen.

Freuds Bemühungen und Studien zur Lokalisation des Psychischen im Gehirn und die Begründungen für sein diesbezügliches Scheitern verweisen auf den extremen Komplexizitätsgrad einer solchen Unternehmung. Sie liefern aber auch Ansatzpunkte für eine weitergehende Betrachtung und stellen eine Erreichung dieses Ziels in den Bereich des Möglichen.

Auch sein angesprochenes erstes topisches Modell könnte vielleicht wertvolle Hilfestellung bei der weitergehenden Kategorisierung des menschlichen Gehirns in Bezug auf das Psychische geben - und vielleicht wird es irgendwann möglich sein, dieses Modell auch neurophysiologisch zu fundieren.

Bei all diesen eventuellen Bemühungen sollte man nicht vergessen, dass man sich dem Gehirn nur mit dem Verstand nähern kann, der wiederum ein eigenes Gehirn impliziert. So wird das Gehirn zum Erforschten und Erforschendem zugleich.

Literatur

Fußnoten

  1. Sigmund Freud, "Zur Psychologie der Traumvorgänge", in: "Die Traumdeutung", Seite 513
  2. Sigmund Freud, "Zur Psychologie der Traumvorgänge", in: "Die Traumdeutung", Seite 513
  3. Sigmund Freud, "Das Unbewußte", in: "Psycholgie des Unbewußten", Seite 133
  4. Sigmund Freud, "Das Unbewußte", in: "Psycholgie des Unbewußten", Seite 133
  5. Sigmund Freud, "Das Unbewußte", in: "Psycholgie des Unbewußten", Seite 133
  6. Sigmund Freud, "Das Unbewußte", in: "Psycholgie des Unbewußten", Seite 133
  7. Sigmund Freud, "Das Unbewußte", in: "Psycholgie des Unbewußten", Seite 133
  8. Sigmund Freud, "Literatur der Traumproblme", in: "Die Traumdeutung", Seite 67
  9. Sigmund Freud, "Psychische Behandlung", in: "Schriften zur Behandlungstechnik", Seite 19
  10. Sigmund Freud, "Psychische Behandlung", in: "Schriften zur Behandlungstechnik", Seite 20